Depressionen vs. Selbstfürsorge / Gastbeitrag von Mario B.

Ich spüre so viel. Freude, Glück, Trauer, diesen riesen Ballon im Körper, der jeden Moment platzen könnte.

 

Viele dieser Tage und Stunden gibt es auch heute noch in meinem Leben, aber sie sind seltener geworden.
Weil ich, neben Therapie und Antidepressiva, Mittel gefunden habe die mir helfen.
Viele Jahre hat das gedauert. Wie es bei so vielen Depressiven viele Jahre und mehrere Therapien braucht, um herauszufinden, was der Seele guttut. Welches Medikament neben dem Medikament wirkt. Wohin wir gehen, was wir machen können, wenn sich die nächste Depression leise ankündigt. (-Mario B.)

In diesem Beitrag schreiben Mario B. (ein Mitpatient) und ich, deshalb werde ich versuchen, die beiden Parts durch die Schriftart zu markieren. Es ist toll, mal eine Sicht auf Corona aus der Mental-Health Perspektive zu bekommen, vielen Dank, Mario! Dieser Text ist zumindest, was meine Parts angeht, “frei runtergeschrieben” ohne groß auf SEO oder auch nur “schönes Schreiben” zu achten. Aber auch das darf mal sein, mir weniger “perfekte” Posts zu erlauben, damit der Blog weitergeht, und ich nicht ständig an meinen eigenen Ansprüchen scheitere.

Aus der Situation gegriffen

Von einer spontanen, süßen Muße geküsst, muss ich einfach schreiben.

Wieder in der Klinik in Bad Bramstedt, habe ich die letzten 2 Stunden damit genossen, mich mit einem Mitpatienten über Oper, klassische Musik und Musicals ausgetauscht, und einiges angehört. Arien, die so viele Gefühle auslösen, dass ich wieder merke, wie sehr ich diese Art der Musik liebe.

Jetzt höre ich wieder La Traviata, zwar über Spotify, aber man nimmt, was man kriegen kann.

Ich spüre so viel. Freude, Glück, Trauer, diesen riesen Ballon im Körper, der jeden Moment platzen könnte. Musik kann für mich etwas, was nichts anderes auf der Welt kann. Ein Teil davon ist, echte Gefühle zu transportieren. Die Trauer mischt sich dazu, weil ich aus Gründen, auf die ich hier vorerst nicht näher eingehen möchte, meinen Job im Opernloft im Oktober hinter mir lassen musste.

Während wir hier so saßen, in diesem Raum, der ist nach einem Umbau leider sehr in schwarz- weiß gehalten ist, hat sich meine Welt für einen Moment doch wieder komplett verändert. Ist schöner geworden, bunter, leidenschaftlicher, voller Gefühle. Und das mitten im anstrenenden Therapieprozess.

Ich kann das kaum beschreiben, aber Mario, mit dem ich hier saß hat es so beschrieben: “So habe ich dich noch nie erlebt. So leuchtend, so wach, so glücklich aufgeregt”. Oder so. Schwer, sowas anzunehmen, schwer, eigene Leidenschaften anzunehmen, wo man sie doch gerade verloren glaubt.

Doch Mario hat mir noch etwas anderes gezeigt und beschrieben, was ich euch gerne zeigen würde.

 

Was war? / Corona-Bezug

Erinnert ihr euch noch daran, dass ich diesen Post über die Corona Zeit im Theater geschrieben habe? Mario hat auch geschrieben, über die Corona-Lockdowns in Bezug auf seine Depressionen und ihren Verlauf/ die Schwierigkeiten, auf die er gestoßen ist, währen der Zugriff auf Medikamente und “positive Ausgleichstätigkeiten” beschränkt war.

Ich hab ihn gefragt, ob ich diese Worte teilen darf, und ich darf. Ich find den sehr gut geschrieben und freue mich, nun auch einen Blick aus der Richtung einbringen zu können.

Los gehts!

Der Blick aus meinem Fenster

Gastbeitrag von Mario B., verfasst ca. Anfang 2022

Pandemie und Depression – eine grauenvolle Symbiose:

Die Medikamente, die uns seit vielen Jahren zum Durchhalten helfen, ja die uns oftmals erst ermöglichen überhaupt am Leben teilzunehmen, sind nicht mehr verfügbar.
Vielleicht stehen sie bald wieder zur Verfügung, irgendwann…, aber so genau weiß man das nicht. Vielleicht Mitte Februar, vielleicht erst Ostern, vielleicht aber auch erst im Herbst oder 2023. Eine Chance auf das langsame Absetzen und Ausschleichen gab es nicht. Und keine Möglichkeit, alternative Mittel zu finden. Sie waren von heute auf morgen einfach weg!

Mit Medikamenten meine ich übrigens keine Pillen oder Tabletten, keinen Saft und auch keine Creme. Ich meine alltägliche Dinge, die für Menschen wie mich überlebenswichtig sind – Medizin eben. Der Tagestrip in die nächste Stadt, der Ausflug in die Natur, der Besuch im Museum, die Feier im Club, das Kaffee trinken mit Freunden, die Stunde im Schwimmbad/Spa nebenan, der Filmabend mit der Clique oder der Gang ins „Stadion“ beim gemeinsamen Fußball gucken.

Für gesunde Menschen sind das wichtige Dinge zur Entspannung, zum Erholen. Für uns Depressive sind es jedoch Dinge, die uns durch das Leben helfen, an die wir uns Klammern können und ohne die wir nicht durch den Tag kommen. Kleine, kurze Momente, die wahnsinnig viel Kraft geben. Die für uns eine ganz andere – überlebenswichtige – Bedeutung haben, ganz anders als für Gesunde.

Wie viele Tage am Stück kann man im Bett liegen? Bei mir waren es sechs. Damals im Jahr 2012, kurz bevor die Depressionen erstmals diagnostiziert wurden. Aufstehen, nur um auf die Toilette zu gehen und ein bisschen was zu trinken, vielleicht um eine Tüte Chips oder Schokolade mit ins Bett zu nehmen, was halt gerade so daheim ist, etwas einkaufen – unmöglich.
Danach: Tage, an denen es eine zu große Aufgabe ist, das Haus zu verlassen. An denen man nicht weiß, woher man die Kraft nehmen soll, um sich zu duschen, sich anzuziehen oder sich die Zähne zu putzen. An denen man durstig oder hungrig auf dem Sofa sitzt und verzweifelt weint, weil man es nicht schafft, in die Küche zu gehen. Die To-do-Liste wird immer länger und länger, dabei ist man schon mit dem bloßen Aufstehen völlig überfordert.

Viele dieser Tage und Stunden gibt es auch heute noch in meinem Leben, aber sie sind seltener geworden.
Weil ich, neben Therapie und Antidepressiva, Mittel gefunden habe die mir helfen.
Viele Jahre hat das gedauert. Wie es bei so vielen Depressiven viele Jahre und mehrere Therapien braucht, um herauszufinden, was der Seele guttut. Welches Medikament neben dem Medikament wirkt. Wohin wir gehen, was wir machen können, wenn sich die nächste Depression leise ankündigt. Über etliche Jahre haben wir mühsam und Schritt für Schritt gelernt, was uns helfen kann.

Den Wecker stellen, auch am Wochenende. Einmal am Tag das Haus verlassen. Das sind die Anfänge.
Danach: Eine Aufgabe am Tag erledigen. Tagesstruktur. Genügend Schlaf bekommen. Unter Menschen gehen. Freunde und Bekannte treffen, auch wenn absolut die Lust fehlt, man sich am liebsten verkriechen möchte und diese Herausforderung einen  erst einmal überfordert. Bewegung. Routinen entwickeln, die Freude am Leben wiederfinden, einmal wieder herzlich lachen.
Menschen mit chronischen Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen sind ihrer Krankheit meistens nicht immer akut ausgeliefert. Es gibt durchaus Phasen, in denen wir ein recht normales Leben führen, manchmal sogar jahrelang. Und in diesen Phasen lernen wir Methoden, um gegen die Depressionen anzugehen. Selbstfürsorge. Mittel, die verhindern, dass die Depressionen wiederkommen. Mittel, die die Depressionen abschwächen, wenn sie dann doch da sind. Mittel, die uns wieder Kraft geben, wenn die akute depressive Phase überstanden ist. Routinen, mit denen wir unseren Alltag meistern – in symptomatischen wie symptomfreien depressiven Episoden.

Es ist wie beim Sport: Je mehr ich trainiere, desto besser bin ich für den Wettkampf vorbereitet. Je breiter ich mich im Training aufgestellt habe, desto besser halte ich durch. Bewegungen und Taktiken automatisiert abzurufen, das ist das Ziel. Im Sport wie im Umgang mit den Depressionen. Doch derzeit ist Zwangspause – der Wettkampf wird trotzdem stattfinden, irgendwann, vielleicht schon morgen.

Seit März 2020 ist viel von dem, was für meine Gesundheit wichtig war, nicht mehr möglich. Zumindest nicht dauerhaft.
Die ersten Wochen, im ersten Lockdown bis Ende März 2020, waren ganz gut zu ertragen. Dann war es der Sommer, der mir Hoffnung machte. Und da gab es sie auch wieder, diese Momente und Lichtblicke. Ich habe wieder Freunde getroffen, es war Wahlkampf, man konnte in Cafés, …
Vieles war zwar eingeschränkt und ging nicht wie früher, aber das war fast egal, denn es tat gut. Den Akku wieder aufladen, Hoffnung schöpfen.

Im Herbst war es die Aussicht auf einen Impfstoff, die mir Hoffnung gab. Die mich nach vorn schauen ließ. Vorfreude – das ist es, was Depressive zum Weitermachen motivieren kann. Was uns Kraft geben kann, den manchmal mehr als schwierigen Alltag zu meistern. Das Licht am Ende des Tunnels.

Doch jetzt ist Winter, seit November harter Lockdown – und ich habe nicht die Hoffnung, dass ich jene Dinge, die meiner Seele helfen, bald wieder machen kann. Nicht im Februar und auch nicht im April. Keine geplante Reise. Keine Einladung zu einer Feier. Keine Tickets für das nächste Fußball- oder Handballspiel. Kein Termin für den nächsten Tag mit Freunden. Keine Eintrittskarte für das nächste Konzert. Kein Bahnticket für den lang ersehnten Besuch bei Freunden. Da ist kein Grashalm, an dem ich mich festklammern kann. Keine Vorfreude.
Ich fühle mich absolut hilflos, obwohl ich weiß, dass viele Maßnahmen notwendig sind. Ich fühle mich müde, auch wenn ich weiß, dass Existenzen – und in Ländern ohne Sozialsystem gar Leben – bedroht sind. Ich verliere den Mut, wenn Virologe Dr. Christian Drosten von schlimmstenfalls 100.000 Neuinfektionen pro Tag in diesem Sommer spricht. Ich werde träge, wenn ich den Impfkalender sehe. Ich bin wütend, wenn ich sehe, wie Menschen die Corona-Regeln brechen. Nur, weil sie nicht an das Virus glauben.

Zehneinhalb Monate Corona-Maßnahmen. Es ist schwierig. Es ist eine Herausforderung. Ich möchte nicht entscheiden müssen, wie wir gegen Covid-19 gewinnen können und aus dieser Krise kommen. Die Einschränkungen sind wichtig, aber eben auch gesundheitsgefährdend. Weil es an Alternativen fehlt. Wo soll ich Entspannung finden? Wo einen Ausgleich, wenn die Dinge, die mir das bisher geboten haben, seit Monaten nicht mehr funktionieren?

Viele gesunde Menschen verstehen nicht, wie viel zerstört wird, wenn man uns nimmt, was wir uns mühsam mit und gegen uns selbst erkämpft haben. Wenn da einfach nichts mehr ist.
Ausflüge in die Natur im kleinen Bewegungsradius, Bücher lesen, YouTube, Fernsehen, … das sind Dinge, die mir Freude bereiten und Ablenkung ermöglichen. Aber eben auch Dinge, die ich seit zehneinhalb Monaten mache, und Dinge, die mir – je länger der Lockdown dauert – immer schwerer fallen. Müßiggang. Abwechslung fehlt!

 

 

Ausklang

Danke Mario, dass ich deinen Text teilen darf. Ich find deine Worte großartig und vielleicht freuen sich auch andere, dass ich sie teilen darf.

Vielleicht, denkt ihr jetzt, dass die beiden Themen in einem großen Kontrast stehen, der Text über die Depression und meine momentane Situation und das Glück, dass ich gerade empfinde.

Aber ich glaube, das stimmt nicht. Ich habe komplett vergessen, wie glücklich mich Opernmusik macht, was für ein guter Skill das für mich ist, was für ein gutes Medikament neben den Medikamenten.

Weil ich dachte, nach dem “Jobverlust” darf das nicht mehr. Darf ich meiner Leidenschaft nicht mehr nachgehen, weil ich doch etwas “verloren habe”.

Und das ist eins dieser Dinge. Du, ja du, und ich, wir haben ein Recht auf Pausen neben unseren Krankheiten, denn die Krankheit sind nicht wir. Sie ist ein Teil von uns, die es zu integrieren gilt, aber WIR sind viel mehr.

Hast du auch Dinge, die die eine Pause verschaffen?

Lass mir gerne einen Kommentar da oder schreib mir hier bei Instagram.

Danke.

 

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